Warum die Demokratien in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts scheiterten
Die Demokratien scheiterten in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Dieser Fakt ist heute, im Jahr 2099, unbestritten. Er kann in jedem Geschichtsbuch nachgelesen werden und in diesem Scheitern sind auch teils die Gründe für den großen Crash zu sehen.
Aber wie kam es, dass die Demokratien scheiterten? Worin lag das Versagen einer Staatsform, die zwar nicht perfekt, sicher aber eine der besten ist, die man findet?
Der vielleicht wichtigste Faktor war jener, dass die Demokratien zwar noch so hießen, faktisch aber keine mehr waren. Berufspolitiker verschiedener, sich gleichwohl aber immer ähnlicher verhaltender Parteien hatten über die Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg etwas errichtet, das ich gerne als Nenn-Demokratie bezeichne. Die Macht, die eigentlich beim Volk liegen sollte, ging von ihnen aus, zunehmend diktatorisch, zunehmend eigensinnig. Die Macht des Volkes beschränkte sich darauf, alle paar Jahre zu den Wahlurnen zu pilgern, um dort ihre Stimmen abzugeben. Was am Ende daraus wurde, lag ebenso wenig in ihren Händen wie das, was die Politiker nach den Wahlen taten. Das Volk war nicht nur seiner Macht enthoben, sondern auch seiner Verantwortung für das, was im Land geschah. »Die da oben« regierten, während sich der »einfache Bürger« unter der »Staatsgewalt« duckte. Damit kam es zu einer Umkehr der Machtverhältnisse. Die macht ging nicht mehr vom Volke aus, sondern von der Welt entrückten Politikern, die vor allem den Machterhalt und ihren eigenen Wohlstand im Auge hatten.
Wäre diese Umwandlung schnell vonstatten gegangen, wäre sie ruckartig gekommen, vielleicht hätten sich die Bürger in den einzelnen Staaten erhoben. Aber genau dies geschah nicht, denn der Prozess zersetzte die Demokratie über Jahrzehnte. Er führte nicht zu Aufständen, sondern zu Lethargie und Verdrossenheit, zu einem Nihilismus dem Schicksal des eigenen Volkes und des Landes gegenüber. Mit zunehmendem Zersetzungsprozess stieg gleichzeitig der Anteil an nichtssagenden, Sinn- und Intelligenz raubenden Sendungen im privaten Fernsehen. Bildung wurde gekürzt, wichtiger waren Sendungen, bei denen vermeintliche Stars gesucht oder abgehalfterte Recken in den Jungle geschickt wurden. Brot und Spiele, bereits im Altertum ein probates Mittel, um das Volk in einer falschen Sicherheit zu wiegen, unterstützte die Zersetzung der Demokratie. So lange der Bürger genug zu Essen auf dem Tisch und eine sinnlose Sendung in der Glotze hatte, wurde ihm die Dramatik der Situation, die Umwandlung der Demokratie in eine Diktatur der Berufspolitiker nicht bewusst. Bürger wurden zu Wackeldackel, von den Medien in dem Irrglauben unterstützt, noch immer Teil einer Demokratie zu sein.
Der zweite Punkt, nicht minder wichtig in diesem Zusammenspiel, war die Angst. Anschläge islamischer Terroristen versetzten die westlich-aufgeklärte Welt in Angst und Schrecken. Und eben jene Angst war es, welche die Berufspolitiker geschickt zu schüren wussten. Vermeintliche Terrorwarnungen und Bedrohungslagen wurden genutzt, um den Staat in einen Überwachungsstaat umzufunktionieren, den Bürger den neugierigen Blicken der Geheimdienste auszusetzen und jeden unter Generalverdacht zu stellen. Telekommunikationsdaten wurden gespeichert, das Internet zensiert. Kameras wurden zu einem allgegenwärtigen Phänomen, die Innenminister der Staaten übertrafen sich bei ihren Vorschlägen, die Welt »sicherer« zu machen - mit dem Ziel, alles und jeden zu überwachen.
Mehr und mehr verwandelten sich die Nenn-Demokratien in echte Diktaturen, in denen die Rechte der Menschen beschnitten und schließlich missachtet wurden. Was nach dem 2. Weltkrieg nicht hätte geschehen dürfen, trat ein - Europa, die USA und in der Folge nahezu die gesamte westliche Welt geriet erneut in den Sumpf einer alles beherrschenden Diktatur, vorangetrieben von der Politik, unterstützt von den Medien und getragen von Konzernen. Bis zum Jahr 2021 hatte auch der letzte Wackeldackel begriffen, dass das Volk Jahrzehnte zuvor entmachtet worden war.
Aber erst die zweite Finanzkrise des 21. Jahrhunderts führte unmittelbar zum Ersten Bürgeraufstand, der unzählige Opfer kostete.
Aus heutiger Sicht kam eben jener Aufstand zu spät. Wäre er früher ausgelöst worden, man hätte mit friedlichen Mitteln zu einer echten Demokratie zurückfinden können.
Ist man hinterher nicht immer klüger?
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